Selbstständig machen: ja oder nein?

Für die Überlegung mich selbstständig zu machen habe ich mir fast zwei Jahre Zeit gelassen. Keine einfaches Thema. Der typisch Deutsche mit dem Persönlichkeitsprofil „analytischer Denker“ ist per se ja mal kritisch, vorsichtig und risikobewusst. Lange dachte ich: eine Anstellung ist sicher, bringt immer stabiles Einkommen und ermöglicht Karriere zu machen. Für mich der einzig richtige Weg.

Mit der Zeit haben jedoch einige Bücher, Blogs und letztendlich 10 Jahre Realität in der Anstellung bei mir ein Umdenken bewirkt und mir die Ängste genommen in die Selbstständigkeit zu gehen. Eigentlich war ich schon immer der Typ dazu: unternehmerisches Denken, ergebnisorientiertes Arbeiten, das „Berater-Gen“ ggü. Kunden, Empathie und ein gewisser finanzieller und planerischer Durchblick. Lange genug habe ich es zudem in der Nebentätigkeit getestet.

Das Risiko der Selbstständigkeit

Bedenken und Ängste die ich hatte sind vor allem dem Bild das wir von der Selbstständigkeit haben geschuldet. Gerade von Eltern und Großeltern habe ich gehört: „Selbstständigkeit – hast du dir das gut überlegt?“

Die letzten zwei Generationen vor mir habe lange in einer Zeit mit vielen Umbrüchen und Unsicherheiten gelebt. Gerade im Berufsleben war Sicherheit für sie deshalb besonders wichtig war. Vor allem finanzielle Sicherheit um die Familie ernähren zu können. Heute leben wir in einer anderen Zeit. Uns geht es nicht mehr um Sicherheit. Für uns is diese heute grundlegend gegeben. Wir haben mehrere Bildungswege, sind gut ausgebildet und gefragte Fachkräfte am Arbeitsmarkt. Uns stehen alle Türen offen. Akademiker um die 30 suchen heute oft eher nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Wir machen Sabbaticals, Weltreisen und müssen einfach mal raus und was anderes machen. Das kann doch nicht alles gewesen sein.

Auch der Job ist unbefriedigend. Wir legen einen Lebenslauf-optimierten Werdegang hin und arbeiten an der Verwirklichung der Träume eines anderen, unserem Arbeitgeber. Entweder machen wir einen 9 to 5 Job der zwar bequem ist, uns aber nicht erfüllt, oder wir schuften 60 Stunden die Woche aber verdienen zu wenig.

Auch die Berufsbilder und Möglichkeiten haben sich verändert. Wir können heute mit einem Laptop und € 100,- Budget ein Startup im Netz gründen. Oder als Freiberufler im Homeoffice, im Café oder remote auf der anderen Seite der Erde für einen Kunden arbeiten.

Ich bin etwas über 30, habe keine Kinder und keine Verbindlichkeiten. Bin Akademiker, habe ein Netzwerk an potentiellen Kunden und Kontakten, gefragte Kompetenzen am Markt und nebenberuflich schon Erfahrung mit Buchhaltung und dem bürokratischen Kram gesammelt. Eigentlich hat die Selbstständigkeit kein Risiko für mich. Das Risiko liegt darin es nicht zu probieren. Später werden wir nur bereuen, was wir nicht versucht haben. Wer nicht geht, wird nie wissen ob es da draußen etwas besseres gibt.

Wir können nicht zu neuen Ufern aufbrechen, wenn wir nicht bereit sind, das alte aus den Augen zu verlieren.
— Seneca

Kann ich mich selbstständig machen?

Die Fragen die Du Dir stellen musst sind lediglich:

  • Bin ich der Typ zum selbstständigen, eigenverantwortlichen Arbeiten?
  • Denke ich unternehmerisch und bin ich kommunikationsstark um potentielle Auftraggeber zu überzeugen?
  • Bin ich in dem Maße qualifiziert, dass ich alleine am Markt bestehen kann?

Warum auch Du Dich jetzt selbstständig machen solltest

Hier räume ich mit sieben typischen Vorteilen auf, die dir zeigen warum die Selbstständigkeit vielleicht doch nicht so risikoreich ist wie Du vielleicht denken magst. Ich kann zwar nur von meinen Erfahrungen als IT-Berater und -Entwickler sprechen, denke aber vieles ist grundsätzlich übertragbar.

Eine Anstellung ist sicher

Ist sie nicht. Wenn wir einmal zu den älteren Generationen am Arbeitsmarkt gehören ist eine Anstellung sowieso nicht sicher und in jungen Jahren brauchen wir als akademische Fachkraft keine Arbeitslosigkeit zu fürchten, weil wir am Arbeitsmarkt gefragt sind.

In der Anstellung ist es leichter Geld zu verdienen

Meiner Meinung nach werden viele Angestellte nicht fair bezahlt. Die Löhne in Deutschland sind in den letzten Jahren im Vergleich zu anderen Industrieländern kaum gestiegen. Die Gewinne der Unternehmen umso mehr. Du musst ständig hart verhandeln um Gehaltserhöhungen zu bekommen und gleichst damit vielleicht gerade mal die Inflation aus. Dies lässt sich sicher nicht pauschalisieren, trifft aber oft zu.

Den finalen Auslöser bzw. das größte Umdenken brachte mir das Buch „Investment Punkt“ von Gerhald Hörhan. Meine am besten investierten € 9,- in diesem Jahr. Das Kapital „Abzocke Job“ bringt es auf den Punkt. Lesebefehl! Bestellt euch das Buch und ihr denkt anders über eure Anstellung, euer Konsumverhalten und eure Finanzen.

Investment Punk

Warum ihr schuftet und wir reich werden. Der Untertitel trifft es gut. Ein Aufwach-Buch, das Dein Denken verändern wird. Wir sind Konsumidioten und lassen uns vom Finanzsystem und im Job abzocken. Dieses Buch hat zumindest mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Zudem beschreibt es den Weg aus dieser Misere.

Selbstständigkeit bedeutet ein finanzielles Risiko

Prinzipiell muss man als Selbstständiger eine schwankende Auftragslage, spät zahlende Kunden oder gar Zahlungsausfälle selbst stemmen. Ein finanzielles Risiko trägt man vor allem dann wenn man hierfür nicht vorsorgt. Vor dem selbstständig machen sollte man sich ein Liquiditätspuffer von z. B. 6 Nettogehältern aufbauen. Unternehmen müssen auch Liquiditätsreserven aufbauen.

Damit wird dieses Risiko stark minimiert. Als Selbstständiger ist das Netz mit doppeltem Boden das jemand anders unter uns gespannt hat zwar etwas dünner, aber wir können selbst vorsorgen und uns unser eigenes Netz spannen.

Bei Krankheit und Urlaub hat der Selbstständige ein finanzielles Problem

Krankheit und Urlaub sind keine abrechnbaren Zeiten. Aber dies sind sie eigentlich auch in der Anstellung nicht. Nur verteilt der Arbeitgeber das Gehalt des Angestellten gleichmäßig auf 12 Monate.

Gleichermaßen muss dies auch tun wenn man sich selbstständig macht. Man muss in der abrechnbaren Zeit seiner Tätigkeit die Gewinne für die nicht abrechnbaren Zeiten mitverdienen. Dafür muss er in seiner Stundensatz-Kalkulation diese Zeiten entsprechend berücksichtigen (z. B. 30 Tage Urlaub, 10 Tage Krankheit, 2 Tage Fortbildung im Jahr).

Als Selbstständiger habe ich später ein Rentenproblem

Auch das ist nicht der Fall. Nur wird die Verantwortung der Vorsorge vom Staat zum Selbstständigen verlagert. Mit der Entbindung von Beitragspflicht zur gesetzlichen Rente sollte sich der Selbstständige selbst um den Vermögensaufbau für das Rentenalter kümmern, kann hier aber komplett eigenverantwortlich und frei entscheiden. Und das ist nicht das Schlechteste. Denn dass die gesetzliche Rente weder sicher noch sehr renditestark ist braucht man heute niemandem mehr erklären. Vielmehr kann man sein Geld sinnvoller anlegen und z. B. in passive Finanzprodukte wie ETFs investieren.

Selbstständigkeit bedeutet selbst und ständig

Ich glaube dass man auch als Freiberufler, Selbstständiger oder Unternehmer eine gute Work-Life-Balance haben kann. Letztendlich ist alles eine Frage der Prioritäten und der Selbstdisziplin. Beruflich etwas zurückzuschalten, seiner Freizeit, Hobbies, Sport, Familie, u. a. einen größeren Stellenwert zu geben hängt immer an einem selbst. Hat man dafür keine Zeit, weil sonst das Geld nicht reicht, arbeitet man als Selbstständiger zu unwirtschaftlich oder hat zu hohe Ausgaben bzw. einen unangemessenen Lebensstil.

Vielmehr kann man jedoch als Selbstständiger selbstbestimmt Leben und Arbeiten und vor allem beides nach eigenem Gusto unter einen Hut bringen. Hat man einen privaten Termin muss man eben nicht wie in der Anstellung schauen, dass man diesen außerhalb von 9 to 5 unterbringt und dann hoffen dass nicht kurzfristig ein Meeting einberufen wird. Das heißt nicht, dass man für seinen Erfolg als Selbstständiger nicht diszipliniert sein muss.

Es gibt keinen Weg zurück

Wenn ich mich selbstständig mache, wird es mir schwer fallen wieder in eine Anstellung zu gehen. Quatsch. Ich kenne das Berufsleben als Angestellter und die damit verbundenen Rahmenbedingungen. Funktioniert meine Selbstständigkeit für mich nicht oder finde ich in einer anderen Lebensphase wieder die Anstellung attraktiver, lasse ich mich auch wieder darauf ein. Für mich persönlich würde an einer potentiellen Anstellung eben Aufgabe, Freiheitsgrade und selbstbestimmtes Arbeiten im Vordergrund stehen. Wieder in eine Anstellung zu gehen würde also in erster Linie vom Angebot anhängen. Im Moment passt es für mich nicht.

Bürokratisch, z. B. bzgl. Rente, gibt es logischerweise auch keine Einschränkungen. Du kannst jederzeit wieder in eine Anstellung gehen.

Christoph

Christoph

Nach drei Jahren als nebenberuflicher Webberater habe ich den Schritt in die Selbstständigkeit als Freiberufler gewagt. Über meine dabei gesammelten Erfahrungen zu Bürokratie, Praxis und nützlichen Tools schreibe ich in diesem Blog.

1 Kommentar

  1. Hallo Christoph,
    diese Zeilen haben mir ein wenig geholfen in der Frage ob ich mich Selbstständig machen soll oder nicht.
    Ich überlege nun schon eine geraume Zeit mich selbstständig zu machen oder nicht. Nun bin ich wieder einen Schritt weiter gekommen.

    Liebe Grüße

Schreibe einen Kommentar